Port Olry 2022

Kolumne 51 Vanautu - Port Olry

 

Ist dies das Paradies? 

Vom 31. Oktober bis 3. November ankern wir auf der Ostseite der Insel Espiritu Santo vor Port Olry in der weiten Bucht. Wir sind durch ein Riff und kleinere Inseln geschützt. Das Wasser ist so klar, dass wir in 12 m Infinity’s Anker erkennen können. 

Port Olry ist schon ein etwas größeres Dorf im Norden der Insel Espiritu Santo. Es gibt eine Schule, die in drei Gebäude mit Grund-, Mittel- und Oberschule unterteilt ist. Wir entdecken mehrere kleine Supermärkte, eher Kioske für uns, mit dem Basisangebot, einen Gemüseladen, eine französische Bäckerei und einen Fleischer. In dem Fleischerladen stehen zwei Gefriertruhen mit abgepacktem Fleisch von einheimischen Tieren, wie mir versichert wird. Unter der Veranda vor dem Laden sehe ich morgens früh um 7:00, gerade als ich meinen morgendlichen Walk mache, ein viergeteiltes Rind, allerdings ohne Kopf, dafür mit Fell, hängen. Drei Männer sind dabei die Teile zu zerlegen.

Erstaunlich, wie zufrieden die Menschen mit dem Wenigen, was sie haben, sind. Familien wohnen in Hütten, die aus Naturmaterialien von der Insel bestehen. Die Hütten bestehen meist aus einem Raum, in der die Familie auf selbst geflochtenen Matten schläft. Die Böden in den Hütten bestehen einfach aus festgestampfter Erde. Wenn es regnet werden zerteilte Pappkartons auf den Boden gelegt. Entweder wird draußen gekocht oder in einer gesonderten Kochhütte.

 

Jedes Dorf besitzt eine nach allen Seiten offene Gemeinschaftshütte. Manchmal gibt es Bänke um einen Tisch, ansonsten findet auf den geflochtenen Matten sitzend das gemeinschaftliche Leben, das gemeinschaftliche Arbeiten und Essen statt. Die Leute sehen zufrieden aus und lachen viel. Ich bin dankbar dies Ganze zu erfahren und empfinden zu dürfen.

 

Um die Hütten gackert das Federvieh. Küken, Hühner, ein stolzer Hahn mittendrin. Damit die Hühner den Besitzern zuzuordnen sind,  wurden farbige Bänder um die Flügel geflochten. 

Keine Ferkel stoben übermütig herum, während die Mama Sau sich im Schatten im Staub suhlt. 

Ein Bulle läuft friedlich in seiner Herde von ca. dreißig Kühen. Es gibt keinen Zaun. Vielleicht ist dem Bullen zu heiß, um seine Damen aggressiv zu beschützen. Die meisten Kühe stehen oder liegen wiederkäuend unter einem riesigen Baum mit irre großer Blätterkrone. Sogar die schon halbwüchsigen Kälber werden noch gesäugt.  Direkt neben der Herde befindet sich der Sportplatz und die Schule, wo Kinder Fußball spielen. Also, ich meine, die Tiere sind hier ebenso glücklich wie die Menschen. Naja, bis die Vierbeiner im Kochtopf landen.

 

Keine 50m neben den wiederkäuenden Rindern beginnt der weiße Strand und dem klaren türkisfarbenen Pazifik. Nach Schulschluss treffen sich die Kinder am Strand, stürzen sich ins 28 Grad warme Wasser und spielen. Bis nach Sonnenuntergang  hören wir die rufenden, schreienden, übermütigen, glücklichen Kinder.

Auch hier stellen Rosetta und ich in der Schule mit Unterstützung der Rektorin das Menstruationsset der Non-Profit-Organisation „Days for Girls“ vor. Trotz der katholischen Gesinnung scheinen die 5 Lehrerinnen sehr aufgeschlossen dem Thema gegenüber zu sein. Wir hoffen, die 8 Sets werden zu Demozwecken genutzt, kostenlos Sets bestellt und an Schülerinnen weiter geleitet. Wir denken positiv.

Ich mache mit meinem Kajak Touren in den Flussarm und zur gegenüber liegenden Insel Dolphin mit den vorgelagerten Felsen aus Vulkangestein.  Ganz alleine schnorchel ich durch die vielfältigen Korallen, beobachte die kleinen scheuen Fischen und Schildkröten.

Bei unserem Besuch des  Restaurants „Chez Louis“ erfahren wir von Louis, dem Besitzer, dass erst jetzt langsam wieder einige Touristen seine kleinen Hütten buchen. Durch die Corona Pandemie war lange alles geschlossen. Auch sein Restaurant wird nun wieder von Tagesbesuchern, Seglern und seinen Gästen, besucht. Louis wäre beinahe, wie wohl viele seiner Kollegen, an seinen Verpflichtungen, die er bei den Banken eingegangen war, gescheitert.

Louis war 18 Monate in Australien, wo er als Erntehelfer viel Geld verdient hat. Das „Chez Louis“ und sein kleines Resort hat er mit seiner Familie aus dem, was die Insel an Naturmaterialien bietet, aufgebaut. Ja, dann kam die Pandemie, die fehlenden Einnahmen, die Banken stellten Forderungen. Aber so langsam geht es bergauf. 

Ich frage ihn, ob Australien ihm gefallen hätte und er nicht lieber dort geblieben wäre. Voller Überzeugung kommt: „Auf keinen Fall. Hier ist das Paradies! Schau dich um. Das Wetter, die Natur, meine Familie – alles ist paradiesisch. Und so viel wie die Australier brauchen wir nicht. Dann jeden Tag diese harte Arbeit. Nein, ich liebe mein Paradies.“

Zurück auf Infinity mache ich mir Gedanken über das Paradies. Hat jeder sein eigenes Paradies? Heißt Paradies sich unsagbar glücklich zu fühlen? Gibt es diesen Zustand wirklich beständig? Wie sehe ich mein Paradies? Zusammen mit Familie, Freunden, sich geborgen fühlen, gesund sein, ohne Streit, Hass, Neid, ohne Angst in die Zukunft schauen. Gehört das alles zum Paradies dazu?

So ein paradiesischer Zustand ist unwirklich. Das sind zu hohe Ansprüche. Als mich eine Freundin, die auch schon häufiger mit uns auf Infinity gereist ist,  mich fragt „bist du nun glücklich?“ Ich überlege und sage teilweise ja, oft vermisse ich die Heimat, die Familie, Freunde, trotz paradiesischer Natur und tollen Erfahrungen. Ich komme zu dem Schluss, dass jeder Mensch ein Paradies und Glücklichsein in sich trägt und finden kann. Jeden Morgen versuche ich mir nach dem Aufwachen zu sagen – was auch kommen mag, ich werde es annehmen und lieben. Sollte mir das jemals gelingen, dann lebe ich in meinem 

 

Wer an der Küste bleibt, kann keine neuen Ozeane entdecken. 

Ferdinand Magellan

 

Wir haben ihn endlich mit der Kamera erwischt - unseren Blinden Passagier aus Australien. Er ist mittlerweile groß geworden und wir hoffen, dass er noch einige Zeit bei uns bleibt.

Aussi - unser neuer Talisman